Bindungsangst überwinden
Bindungsangst erkennen und überwinden
Wir alle wollen eine glückliche und erfüllte Beziehung, in der wir zufrieden sein können. Und wir wollen jemanden an unserer Seite, mit dem wir teilen, lachen oder guten Sex haben können. Doch scheinbar ist das nicht so einfach, wie man es sich ausgemalt hat. Denn Bindungsangst kann diesen Wünschen stark entgegen stehen.
Manchmal sehen wir Einsamkeit zu zweit. Dann wieder das Beziehungs-Aus, sobald es enger zu werden scheint. Oder wir hören nur negative Äußerungen über uns, egal was wir tun. Denn Bindungsangst trennt uns nicht nur vom Gegenüber, sondern auch von uns selbst.
Ob es sich um Probleme mit Nähe und Distanz, mit dem Setzen von Grenzen oder schlicht ausweglose Perspektiven ohne Möglichkeit auf ein gutes Ende handelt. Hinter vielen Problemen kann sich Bindungsangst verbergen, die sich jedoch völlig unterschiedlich zeigen kann.
Bindungsangst ist genauso eine Angst wie jene vor großer Höhe oder der Aufenthalt inmitten von vielen Menschen. Sie löst dieselben Abwehrreaktionen aus wie jede Angst. Flucht, einfrieren oder Angriff sind typische Muster, die sich bei Bindungsangst zeigen. Bindungsangst rasch erkennen, mit ihr umgehen lernen und was sie dir zeigen kann, findest du in diesem Blogartikel.

Bindungsangst und Verlustangst verstehen sich gut
Wir können unsere Entscheidung, eine Beziehung einzugehen, solange hinausschieben, wie nur möglich. Es existiert jedoch kein günstiger Zeitpunkt, an dem die Bindungsangst kleiner werden wird. Jede Angst bleibt immer Angst, bis wir ihr aktiv begegnen.
Kennst du den Satz: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon so weit bin“ ? Diese Aussage nenne ich „die immergrüne Karotte“. Diese Karotte ist ein Symbol für Sehnsucht, die sich aber mit großer Wahrscheinlichkeit nie erfüllt.
Eine Sehnsucht kann z.B. bedeuten, dass es irgendwann einmal so weit sein wird. Er oder sie wird eines Tages bereit sein, sich auf mich einzulassen. Dieser Mann wird sich eines Tages für mich scheiden lassen. Genau diese Frau wird mit mir – irgendwann – Hand in Hand über die Blumenwiese in Harmonie schweben. Eines Tages wird mich dieser Mann doch noch verstehen und sich für mich entscheiden.
Sehnsüchte sind so vielfältig wie unsere Wünsche
Und wir wollen um sie kämpfen, auf sie warten, uns für sie verbiegen und manchmal für sie sterben. “Es muss einfach wahr werden!” Diese Karotte wird nun also direkt vor deiner Nase elegant platziert. Sie ist saftig und grün, sieht zu köstlich und verführerisch aus. Die Karotte ist nur eine Armlänge von dir entfernt und zum Greifen nah. Dass du sie erreichst, stellst du nicht in Frage.
Bis zu dem Zeitpunkt, an dem du – oft nach Jahren – eine Einsicht gewonnen hast. Diese Karotte erreichst du nie, egal wie sehr du dich anstrengen magst. Der Abstand zwischen dir und der Karotte ist immer gleich geblieben. „Ich bin nicht sicher, ob ich schon so weit bin“ bedeutet zweierlei: „Ich weiß nicht, ob ich gerade jetzt so weit bin“ und gleichzeitig „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt jemals so weit sein werde.“ Gut, nicht?
Wir weichen gerne aus, um unsere Angst nicht zu fühlen
Das wäre eine beispielhafte Aussage für jemanden, der unter Bindungsangst leidet. Und wer würde sich ausgezeichnet mit jemandem verstehen, der nie weiß, ob er jemals eine Beziehung eingehen kann? Jemand, der unter Verlustangst leidet. Denn damit finden sich zwei Menschen, die jahrzehntelang aneinander gekettet sein können, ohne dass sie sich einen einzigen Millimeter zueinander bewegen können.

Fliehen oder sterben? Bindungsangst tarnt sich als emotionales Ungeheuer
Solange wir fliehen, so lange kann der Schein aufrecht erhalten werden, dass durch Flucht der Ausweg gelungen ist. Doch irgendwann werden wir bemerken, dass wir nicht vor uns selbst fliehen können.
Jemand kann auf Angriff gehen, sobald er sich bedroht fühlt. Ein anderer Mensch setzt dermaßen strenge Grenzen, dass er hinter seiner Mauer überhaupt nicht mehr wahrnehmbar ist. Und wieder andere fliehen, sobald sie sich in die Enge getrieben sehen.
Eine Beziehung kann für manche Menschen die totale Enge sein, als wäre man auf ewig gefangen. Bindungsangst kann viele Gefühle hervorrufen: ausgeliefert zu sein oder jemand anderer verfügt über mich sind prominente Beispiele dafür. Mein Gegenüber kann mit mir machen, was er oder sie will und ich kann mich nicht dagegen wehren. Oder ich kann, sobald ich in einer Beziehung bin, nicht mehr ich selbst sein.
Die häufigste Möglichkeit, diese Angst wieder in den Griff zu bekommen, ist die Flucht. Fliehen oder sterben lautet die Devise. Und tatsächlich kann es sich für jemanden mit Bindungsangst auch so anfühlen. Als würde man sich auflösen und all das, was man darstellt an Persönlichkeit, weicht für das Gegenüber.
Durch diesen inneren Kampf zwischen Sehnsucht nach Liebe und Angst vor Bindung, kann es ein schier unendliches Hin und Her zwischen zwei Menschen geben. Es ist ein Kampf aus Macht und Ohnmacht, die beide miteinander ausfechten. Doch am Ende verlieren sie und bleiben frustriert und gedemütigt zurück.
Auch Menschen mit Bindungsangst wünschen sich sehnlichst eine funktionierende Beziehung. Was hilft, ist sich dieser Angst zu stellen und die Einsicht zu gewinnen, dass niemand wirklich beziehungsunfähig ist.

Bindungserfahrung und Bindungsangst hängen zusammen
Jede Erfahrung prägt uns auf unterschiedliche Weise. Doch eine alte Erfahrung darf niemals die Macht haben, dass sie unsere Möglichkeit, heute so zu leben, wie wir es möchten, einschränkt.
So wie unsere Bindungserfahrung mit den ersten Bezugspersonen war, so ähnlich gestalten wir später unsere Beziehung. Wir finden sogar die dazu passenden Partner und haben gefestigte Überzeugungen über uns und unsere Umwelt.
Wir unterscheiden drei Hauptvarianten von Bindungserfahrung
„Ich bin okay und du bist okay!“
Jeder in der Beziehung darf sein und sich natürlich ausdrücken. Gibt es Probleme, können wir drüber reden und eine Lösung finden.
“Du bist okay, aber ich bin nicht okay!”
Hier kann sich in Beziehungen später die Tendenz zum Klammern und der ständigen Fürsorge zeigen. Wir bemuttern oder bevatern, geben sofort recht, haben nur das Gegenüber im Blick, damit es ihm möglichst gut geht. Wie unser Selbstwertgefühl dabei aussieht, ist völlig nebensächlich. Das ist auf Dauer extrem unsexy für das Gegenüber, weil man sich aufgibt. Partner, die sich aufgeben, sind schon alleine evolutionstechnisch nicht von Interesse. Durch das Bemuttern oder Bevatern wirkt man nicht mehr wie der/die Partner:in, sondern wie die Mutter oder der Vater. Und wer will schon mit seiner Mutter oder seinem Vater schlafen? Haben wir also ständig unsere Partner im Fokus und klammern, verlieren wir langsam unseren Wert für das Gegenüber und natürlich uns selbst.
“Du bist nicht okay und ich auch nicht!”
Dabei vermeidet man Nähe und Beziehung wie der Teufel das Weihwasser. Man meidet jede Art von Kritik, legt jedes Wort auf die Waagschale und reagiert völlig inadäquat und übertrieben in harmlosen Situationen. Es gibt kein Grundvertrauen mehr und Liebe wird nur zu einem lächerlichen Wort degradiert, das man nur mal so nebenbei in den Mund nehmen kann. Doch ernst nehmen kann man Liebe nicht, denn diese und Beziehung sind eine Lüge und Erfindung, um so zu tun, als würde man es ernst meinen. Wir könnten es auch so formulieren: “Du bist eine Lüge und ich ebenfalls!” Also wozu soll ich etwas tun und warum sollte Beziehung gut gehen? Man wird nur ausgenutzt!
Außen stark – innen voller Zweifel und Angst
Durch Schimpfen, lächerlich machen, ständig nörgeln und bloßstellen oder völlige Gleichgültigkeit kann man diesem Frust und der Verzweiflung Luft machen. Äußerlich mag oft alles cool und stark aussehen, doch innerlich sind viele schon völlig vom emotionalen Schmerz und der unerfüllten Sehnsucht nach Nähe und Liebe zerfressen.

Die zwei Seiten von Bindung und Bindungsangst
Wir müssen realistisch sein in Beziehungen, denn sonst träumen wir nur und haben Vorstellungen und Erwartungen, die niemand erfüllen kann. Niemand ist perfekt. Perfekt bedeutet tot. Und wer will schon tot sein?
Solange wir uns nicht bewusst machen, dass jede Beziehung zwei Seiten hat, so lange leben wir in einer Illusion. Bindungsangst lebt von der Angst, sich ausliefern zu müssen und gefangen zu sein, ohne jemals wieder Freiheit erleben zu können. Doch das ist eine Annahme, die einen fehlerhaften Rückschluss besitzt.
Die Annahme, dass man innerhalb einer Beziehung weniger frei wäre als ohne, ist eine einseitige Sichtweise. Denn jede Beziehung hat zwei Seiten. Die Abhängigkeit und die Unabhängigkeit. Es gibt immer zwei Ich-Teile und einen Wir-Teil innerhalb einer Partnerschaft. Und alle Teile sind gleichwertig und müssen auch unabhängig gepflegt werden. Denn keine Beziehung verträgt ausschließlich ein “Wir” oder nur ein “Ich”.
Alle drei Elemente der Beziehung verändern sich nur zeitweise in ihren Prioritäten. In manchen Situationen ist der Wir-Teil vorrangig, wenn wir z.B. gemeinsam etwas unternehmen. An einem anderen Tag wiederum machen beide mehr für sich und haben Abstand von einander. Beide Seiten und Zeiten sind gut und wichtig für eine gesunde Beziehung.
Um diese aber auch leben zu können, müssen wir Grenzen ziehen. Und genau hier liegt der Hund begraben. Denn Grenzen ziehen, ist sowohl für Menschen mit Bindungsangst als auch für jene mit Verlustangst extrem schwierig. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass deshalb eine Beziehung nie möglich ist.
Ausweichen bringt uns keinen Millimeter weiter. Uns den Herausforderungen und Ängsten stellen schon. Denn Grenzen ziehen und sich seiner Probleme zu stellen, können wir alle. Auch wenn wir es bis dato nicht gelernt haben. Das macht nichts, dann lernen wir es eben jetzt Stück für Stück.

Wege aus der Bindungsangst
Es gibt sicher viele Wege, die funktionieren. Doch egal welche wir einschlagen, sie führen alle über uns selbst. Wir können unsere Themen niemandem anderen übergeben, als uns selbst.
1. Stell‘ dich deiner Angst vor Abhängigkeit
Genervt und unnahbar zu wirken, sich gleichgültig zu geben oder einfach nur unser Gegenüber dominieren zu wollen, entsprechen oft nicht der Wirklichkeit. Denn dahinter verbergen sich meist schlecht greifbare Gefühle von Angst und Panik aus der Vergangenheit.
In den meisten Fällen gab es einst tatsächlich begründete Situationen, in denen es sinnvoll war, zurückzuweichen und sich auf keinen Fall auf das Gegenüber einzulassen. Doch diese Zeiten sind schon vorbei. Wir haben diese schon längst überlebt, hängen jedoch noch im alten Muster fest.
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2. Stell‘ dich deiner Angst vor Erwartungen
In jeder Beziehung will jemand etwas von uns. Das ist eine Tatsache, die wir nicht leugnen können. Doch geht es heute nicht mehr darum, dass Dinge erwartet werden, denen wir ohnmächtig ausgeliefert sind. Denn heute sind wir erwachsen und haben Möglichkeiten, die wir vielleicht in der Kindheit nicht hatten.
Dieses sofortige „Nein!“ in uns, sobald jemand etwas von uns erwartet, ist oft nicht mehr im Verhältnis zur jeweiligen Erwartung. Wir reagieren völlig überzogen und unwirklich. Hier ist es gut, sich bewusst zu machen, welche Erwartungen uns am meisten triggern und diese im ersten Schritt aufzuschreiben.
3. Stell‘ dich deiner Angst vor Konflikten
Wir sind erkrankt an einer gewissen Konfliktlosigkeit in unserer Gesellschaft. Entweder eskaliert etwas nach langem Herunterschlucken und niemand kennt mehr einen Zusammenhang zur Ursache. Oder wir müssen alles harmonisch und ohne jeglichen Streit, Diskussion oder Reibungspunkte in der Beziehung hinbekommen. Beides ist ungesund.
Es geht mehr darum, eine gesunde Ausdrucks-Kultur zu entwickeln, in der wir uns authentisch zeigen können und darüber reden. Auch wenn es vielleicht Konflikte gibt, bedeutet das nicht, dass die Beziehung endet oder wir sofort sterben. Es bedeutet nur, dass gerade zwei innere Welten aufeinanderprallen, die einen Weg suchen, konstruktiv ausgedrückt zu werden.
4. Stell‘ dich deiner Angst vor Ablehnung
Tief in uns kann es einen Kern geben, der ständig auf der Hut vor Ablehnung ist. Bevor wir es riskieren, abgelehnt zu werden und in uns selbst zusammen zu brechen, vermeiden wir es lieber, einen Schritt weiterzugehen. Diese Risikominimierung nimmt uns jedoch schrittweise jede Chance auf eine tiefere Beziehungsebene. Oder wir steigen generell erst gar nicht auf eine Beziehung ein, weil das Risiko vor Ablehnung zu groß ist.
Würden wir diese Gefühle vor uns selbst zugeben und akzeptieren lernen, bringt uns das einen großen Schritt in unserer Persönlichkeitsentwicklung voran. Denn es gibt keinen Gewinn ohne Risiko. Und wer nie gefallen ist, hat den Sieg auch nicht verdient. Das wusste schon Udo Jürgens in seinem Lied über das Leben.

5. Stell‘ dich deinem Erwachsen-sein
Wir alle haben Situationen erlebt, die wir nie wieder erleben möchten. Und es gibt Dinge im Leben, für die wir uns schämen, uns dafür schuldig fühlen oder vor denen wir Angst haben. Wir alle sitzen im selben Boot und das ist keineswegs schlecht oder ein Makel.
Der Unterschied zwischen denen, die durch bestimmte Ereignisse liegen bleiben und jenen, die weitergehen, ist kein Wunder des Himmels oder nicht wegen Dummheit. Auch nicht, weil wir mehr oder weniger Opfer sind als andere. Der Unterschied ist trotz Angst und trotz Hindernis weiter zu gehen bzw. sich zu überlegen, welche konstruktiven Schritte es gibt, sich zu befreien.
Wir können sehr viel erreichen, wenn wir es wollen. Es muss gar nicht leicht sein, das sagt niemand. Sein Leben und seinen Alltag trotz aller Herausforderungen gut zu leben, ohne sich tot oder gleichgültig zu stellen, ist nicht einfach. Aber wer kommt auf die Idee, dass das Leben einfach sein muss? Leichter wird es, wenn man weiß, dass das Leben gar nicht so einfach ist. Denn dann hört man auf, Opfer zu sein und benutzt seine Ressourcen, um aktiv eine Lösung zu finden.

Mein Gedankenimpuls 😊, um dich deiner Bindungsangst zu stellen
Ich weiß, was Bindungsangst bedeuten kann, weil auch ich ursprünglich aus niederschmetternden Familien-Verhältnissen und extrem negativen Bindungserfahrungen gekommen bin, die ich niemandem wünsche.
Doch in Schritten, die wir alle in unserem Tempo schaffen können, sind wir in der Lage, weiterzukommen. Wir können uns ein Leben schaffen, das wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten vorstellen können. Vielleicht war es damals schrecklich. Doch das bedeutet nicht, dass es nun ständig so bleiben muss.
Deswegen stell‘ dich den Dingen im Heute und aus der Vergangenheit, sonst bleibst du immer abhängig und in Sklaverei.
Es zahlt sich bestimmt aus😊!
Liebe Grüße,
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